Liebe Leserin, lieber Leser,
vor den herannahenden Theaterferien haben die Bühnen in dieser Woche noch einmal so richtig aufgedreht, und das in denkbar unterschiedlichen Varianten: Im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier ertrinkt Max Frischs späte Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ fast in Einfällen, im Bochumer Schauspielhaus erlebt man dagegen bei „Miranda Julys Der erste fiese Typ“ mit Maja Beckmann und Anna Drexler ein wahres Schauspiel-Fest (das bei der Premiere mehr Publikum verdient gehabt hätte). Bei den Mülheimer Theatertagen setzt sich die Reihe der Enttäuschungen mit Martin Heckmanns‘ kapitalismuskritischem Singspiel „Etwas Besseres als den Tod finden wir überall“, Clemens J. Setz‘ skurril-banalem „Der Triumph der Waldrebe in Europa“ und Katja Brunners „Kunst der Wunde“ fort – man kann nur hoffen, dass sich die „Sistas!“ von Golda Barton als moderne Paraphrase der Tschechow-Schwestern heute und morgen kurz vor der abschließenden Jury-Debatte am Samstagabend im Theater an der Ruhr als Knaller der Saison erweisen. Sonst bleibt es diesmal womöglich bei einem dünnen Jahrgang neuer deutscher Dramen. Einen besonderen Jahrgang erlebte das Moers-Festival in der 52. Ausgabe, es waren György-Ligeti-Festspiele mit meist älteren Jazz-Heroen im Anhang. In Moers öffnet die Stadtbibliothek übrigens schon seit einer ganzen Weile sonntags, was aus Nutzer-Sicht selbstverständlich großartig ist: An welchem Tag in der Woche hätte man denn mehr Zeit zum Lesen und Büchersichten? Überall dort, wo Büchereien sonntags öffnen, kommt das Angebot gut an, auch wenn es meist einen sehr eingeschränkten Service gibt – das Fachpersonal ist auch hier längst schon so knapp, dass es schon schwierig ist, die Öffnungszeiten in der Woche abzudecken. Jedenfalls ist es gut, dass das Oberverwaltungsgericht in Münster gegen die Klage der Gewerkschaft Verdi entschieden hat, die Sonntagsöffnung von Bibliotheken (die NRW als eines der wenigen Bundesländer in Deutschland ermöglicht) für rechtens zu erklären. Weil sie als Einrichtungen mit Museen und Theatern zu vergleichen sind, in denen ja ebenfalls am Wochenende gearbeitet wird. Die neue „Metropolenschreiberin“ Nora Bossong ist schon dabei, sich ins Ruhrgebiet einzuarbeiten, wie bei ihrer Antrittslesung deutlich wurde – allerdings ist das Revier schon längst Schauplatz in einem ihrer Romane, in einer Reportage und einigen Gedichten gewesen. Im Moment beschäftigt Nora Bossong nichts so sehr wie die dramatisch schlechten Bus- und Bahn-Verbindungen hier („Ich werde hier wohl doch mal ein Auto brauchen“), was zu Sätzen führt wie „Ich bin daheim in Berlin schneller an einem Bordell als in Mülheim-Broich an einer Bushaltestelle“. Berlin ist eben eine Metropole... Bleibt noch Abschied zu nehmen, nicht nur vom großartigen Schauspieler Peter Simonischek, sondern auch von seiner Mülheimer Kollegin Simone Thoma, vom Verleger Ludger Claßen und vom Essener Künstler Thomas Rother. Ihr Wirken war ein Segen für uns, und wir können ihnen vielleicht am ehesten gerecht werden, wenn wir das Unsere dazu tun, die Kultur weiterleben zu lassen. Mit den besten Wünschen für ein gelingendes Kultur-Wochenende! Herzlich grüßend Ihr Jens Dirksen, Chef der WAZ-Kulturredaktion
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